Graz
1600–1809
Die Zeit der Gegenreformation schlägt sich in Graz mit neu entstehenden Klöstern, Kirchen und barocker Kunst nieder. Im Bereich der Bildung wirken die Jesuiten besonders stark. Die kulturellen Neuerungen gehen mit einem politischen Bedeutungsverlust der Stadt einher: 1619 zieht der zum Kaiser Ferdinand II. gekrönte Erzherzog mit dem Hof nach Wien, und Graz verliert seine Rolle als Residenzstadt. 1782 wird die Stadt unter Joseph II. zur „offenen“ Stadt erklärt und die Befestigungsanlagen werden nicht weiter erneuert.
Wenige Jahrzehnte später kommen mit dem französischen Heer auch die Ideen der Französischen Revolution nach Graz und werden vom Bürgertum interessiert aufgenommen. Die letzte Besetzung durch das französische Heer 1809 ist jedoch kriegerischer Natur und hat verheerende Folgen. Der Sieg der Napoleonischen Truppen über Österreich hat die Schleifung der mächtigen Schlossbergfestung zur Folge, die das Stadtbild über 300 Jahre lang geprägt hat.
Ein kaiserlich verordnetes Siegeszeichen
Die Mariensäule war Teil einer Propagandastrategie, die den Sieg der Habsburger über die Osmanen als Triumph des Christentums über den Islam feierte. Mit der Einführung eines Marienfeiertages wollte Graz den Schutz vor osmanischen Angriffen erbitten. Kaiser Leopold I. empfahl jedoch, eine Säule nach Wiener Vorbild zu errichten. Sie wurde 1670 nach dem Entwurf des Baumeisters Domenico Sciassia auf dem Grazer Karmeliterplatz eingeweiht. 1796 wurde sie auf den Jakominiplatz verlegt. Als die Mariensäule 1928 an ihren heutigen Standort am Eisernen Tor kam, wurde sie in „Türkensäule“ umbenannt und die osmanische Bedrohung erneut in Erinnerung gerufen.
Kaiser Leopold II. beobachtet von einem Zelt aus die ihm zu Ehren veranstaltete Parade. Als Nachfolger seines Bruders Joseph II. gilt er als letzter aufgeklärter Monarch der Habsburger.
Insgesamt sind drei Korpsverbände auf dem Bild zu sehen. In der Mitte befindet sich das Korps der Kavallerie mit der Dragonerstandarte, links das Korps der Infanterie (Grenadier-Abteilung) und rechts die „Jäger“ mit der Schützen- oder Jägerfahne sowie der dahinter Stadtfahne. Hinter ihnen formiert sich das musikalische Korps mit Trompeten, Oboen und Trommeln.
Oberst Seebacher (links) und Oberstleutnant Dobler (rechts) führen die Parade an. Der Braumeister und Gastwirt Richard Seebacher steht als Kommandant an der Spitze aller Korpsverbände. Der Handelsmann Franz Kaspar Dobler folgt ihm 1792 in dieser Funktion nach. In dieser wird er 1797 Napoleon empfangen.
Bedeutungsverlust der Stadt
Das Gemälde zeigt eine Parade des Grazer Bürgerkorps, abgehalten 1790 für Kaiser Leopold II. Das Grazer Bürgerkorps war aus der mittelalterlichen Bürgerwehr hervorgegangen. Neben den Kriegszügen des Landesfürsten war diese für die städtische Befestigung, Verteidigung und Ordnung verantwortlich gewesen. Maria Theresia zentralisierte diese Funktionen durch stehende Heere. Die Bürgerwehren verloren an Bedeutung und damit die Städte ihre militärische Selbstverwaltung. Lediglich als französische Truppen in den Jahren 1797, 1805 und 1809 Graz besetzten, traten sie abermals hervor, um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten, Plünderungen zu unterbinden und Zusammenstöße zu verhindern.
Im Rathaus befindet sich die Grazer Hauptwache, in der sich auch die französischen Besatzer einrichten. Es ist noch das schlichte Renaissancegebäude aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, das 1803 abgerissen und durch einen repräsentativeren klassizistischen Bau ersetzt wird.
Graz wird dreimal von französischen Truppen besetzt: 1797, 1805 und 1809. Beim letzten Mal wird nach der österreichischen Niederlage von Wagram die Festung auf dem Schloßberg gesprengt.
Während der Besatzung durch die Franzosen sorgt das Grazer Bürgerkorps für die Sicherheit in der Stadt. Zu seinen Aufgaben gehört es, Wachdienste zu leisten, Plünderungen zu unterbinden und Zusammenstöße zu verhindern.
Napoleon als Sendbote der Revolution
Der französische Kaiser war nie in Graz. Napoleon allerdings schon. Bei seinem Aufenthalt 1797 war er noch General der französischen Armee. Der Stich zeigt französische Besatzer und Grazer Korpstruppen vor dem Rathaus. Die Darstellung kann als ein Bild spielerischer Sympathie für den Geist der Aufklärung gelesen werden. Die Reformen Josephs II. und Leopolds II. wirkten noch nach und so manche Grazer Bürger*innen waren vom reaktionären Regierungsstil des Kaisers Franz II. / I. enttäuscht. In den Franzosen sahen sie Sendboten der Revolution, die von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit kündeten.
Die Französische Revolution bringt Europa ein modernes Rechtssystem
Die Französische Revolution und die ihr folgenden Koalitionskriege veränderten Europa nachhaltig. Umfassende Reformen in Justiz, Verwaltung und Heereswesen verwandelten Frankreich in einen modernen und zentralisiert geführten Nationalstaat, der von vielen Zeitgenoss*innen als Musterstaat angesehen wurde. Mit den siegreichen Eroberungsfeldzügen Napoleons überschlugen sich die Ereignisse. Die reaktionären Mächte Österreich, Preußen und Russland mussten tiefgreifende strukturelle Reformen und gesetzliche Liberalisierungen zugestehen, um das „revolutionäre Potenzial“ im Volk einzudämmen.
Graz wandelte sich während der Koalitionskriege in seiner städtischen Erscheinung sowie im Stimmungsbild der Bevölkerung. Dreimal besetzten französische Truppen die Stadt: 1797, 1805 und 1809. War man anfangs gegenüber den bürgerlichen Idealen der Französinnen und Franzosen aufgeschlossen, mobilisierte allerdings 1809 der vaterländische Patriotismus zum Widerstand gegen Frankreich. Die Folge: Schleifung der Schlossbergfestung.
Grenze Frankreichs und seiner Verbündeten (vor dem Russlandfeldzug 1812) |
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Kaiserreich Frankreich |
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Von Frankreich abhängige Gebiete |
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Heiliges Römisches Reich 1797 |
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Kaisertum Österreich 1812 |
Projekt Stadt
Die politische Kultur der Städte wurde durch Renaissance, Humanismus und Reformation befördert – auch in Graz. Im Zuge der Gegenreformation unterlag die städtische Unabhängigkeit jedoch dem absolutistischen Fürstenstaat Karls und Ferdinands. Der grundbesitzende (katholische) Adel gewann an Bedeutung, die protestantischen Kräfte wurden gewaltsam zurückgedrängt. Die freie Wahl der Stadträte durch die Bürgerversammlung wurde vollständig aufgehoben.
Das spezifisch städtische Politikverständnis des Zunftbürgertums verschwand im 18. Jahrhundert allmählich. Der Zentralstaat Maria Theresias und Josephs II. machte aus den selbstbestimmten Stadtbürgern staatsbürgerliche Untertanen. Der Bürger als Staatsbürger sollte nun aber auch zum Träger eines militärisch und wirtschaftlich erfolgreichen Staates werden, wohingegen Einfluss und Eigentum des zuvor (steuer-)privilegierten Adels und Klerus geschmälert wurden.
Geschlechterrollen
Die von Hungersnöten, Seuchen und Kriegen verunsicherte Gesellschaft des 16. und 17. Jahrhunderts fand in den „Hexenverfolgungen“ häufig ihren Höhepunkt an Frauenfeindlichkeit. Die Aufklärung brach ein Jahrhundert später mit der „gottgewollten“ Herrschaft von Adeligen und Geistlichen und veränderte mit ihren Reformen auch die Geschlechterverhältnisse. Die von Maria Theresia 1774 eingeführte Schulpflicht galt für „beyderley Geschlecht“.
Das weibliche Selbstbewusstsein wurde von der Französischen Revolution gestärkt. In Graz erschien die erste Frauenzeitung Österreichs. Bürgerinnen gründeten politische Clubs und forderten das Wahlrecht, obgleich die Bürger- und Menschenrechte für Männer geschrieben wurden. Zwar formulierten alle bürgerlichen Gesetzbücher die prinzipielle rechtliche Gleichheit der Geschlechter, sie fixierten aber auch den Mann als Oberhaupt der Familie und Vormund seiner Ehefrau, die sich aufgrund ihrer vermeintlich schwächlichen und unvernünftigen Natur unterzuordnen hatte.
Vielfalt
Städtische Vielfalt beinhaltete in der frühen Neuzeit nur bedingt religiöse Vielfalt in Graz. Andersgläubige wurden als „Feinde“, „Ketzer“ oder „Hexen“ verfolgt. Das betraf insbesondere Juden, Osmanen und Evangelische. Der in Graz geborene Kaiser Ferdinand II. versuchte als König von Böhmen den Katholizismus gewaltsam durchzusetzen und löste damit 1618 den Dreißigjährigen Krieg aus – erst Joseph II. gewährte mit seinen Toleranzpatenten den Protestant*innen freie Religionsausübung. Die Auseinandersetzungen der Habsburgermonarchie mit dem Osmanischen Reich wurden zum Glaubenskrieg „Kreuz gegen Halbmond“ stilisiert. Und seit ihrer Vertreibung Ende des 15. Jahrhunderts und dem Ansiedlungsverbot blieb Graz bis 1867 eine Stadt ohne Jüdinnen und Juden.
Mit der Aufklärung begann das Streben nach Gleichheit und Freiheit, doch bei Ausbruch der Französischen Revolution und den beginnenden napoleonischen Kriegen nahm Österreich eine reaktionäre Haltung ein.
Stadtbilder
Die Rekatholisierung der Steiermark fand in Kirchenbauten, Mariensäulen und Palais des katholischen Adels ihren Ausdruck. Beliebt waren italienische Bauherren und Künstler – die Stadt erhielt monumentale Bauten im Stil der Renaissance und des Barock. Vor den Stadttoren wurden viele Häuser abgerissen, um Verteidigungsfelder gegen die Osmanen anzulegen. Ihre Bewohnerinnen und Bewohner siedelten sich daraufhin im Westen, in der Murvorstadt an.
An der Ostseite des Schlossbergs wurden im 18. Jahrhundert nach den Klosteraufhebungen von Joseph II. ein „Allgemeines Krankenhaus“ und ein „Tollhaus“ geschaffen. Weitere Einrichtungen der Bildung, Sozialdisziplinierung und Wohlfahrt folgten. Im europäischen Vergleich außerordentlich früh erklärte der aufgeklärte Monarch 1784 Graz zur „offenen Stadt“: die Stadttore blieben offen, die Befestigungsanlagen wurden nicht erneuert. Vor dem südlichen Tor entstand eine neue Vorstadt: die Josephstadt, das spätere Jakomini.
Alte Post (Neuhof)
Der Gutsbesitzer, Militär, Steuereinnehmer, Postmeister, Getreidehändler und Spekulant Ritter von Jacomini ersteigerte 1784 Glacisgründe beim Eisernen Tor und begann einen neuen Stadtteil, die Josephstadt, zu entwickeln. Auf dem dabei entstehenden Josephplatz, dem heutigen Jakominiplatz, ließ er sich im Zentrum ein bürgerliches Schloss im josephinischen Stil errichten. Von dieser Alten Post aus fuhren Post- und Eilwagen in alle Richtungen. Beim Nymphen-Brunnen des imposanten Innenhofs wird heute Pizza gereicht.
Palais Wildenstein
Friedrich der Große sagte Joseph II. die Neigung nach, stets den zweiten Schritt vor dem ersten zu tun. Vielen galt der aufgeklärte Despot als gescheiterter Experimentator. Graz jedenfalls wurde mit der Erklärung zur „offenen Stadt“, acht Klosteraufhebungen, mit dem Bauernmarkt und der Einrichtung von Kranken-, „Irren-“ , Armen- und „Zuchthäusern“ stark von ihm geprägt. Heute praktisch unsichtbar ist das josephinische Erbe in der Bundespolizeidirektion im Palais Wildenstein. Es diente von 1788 bis 1922 den Grazer*innen als AKH.
Mausoleum
Dieser Turm bekrönt die Grabeskirche für einen habsburgischen Herrscher, der hierorts im Kleinen ein Musterbeispiel früher konsequenter Gegenreformation vollbrachte und im Großen ein katholisch-deutsches Reich schaffen wollte. Demgemäß war er nach der restlosen Vertreibung alles Evangelischen aus Graz später wesentlicher Auslöser des Dreißigjährigen Krieges, im Zuge dessen er seinen Feldherrn Wallenstein ermorden ließ. In de Pomis’ Mausoleum ruht der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Ferdinand II., geboren 1578 zu Graz.