Das Damenfahrrad aus dem Jahr 1900 verfügt typischerweise nicht nur über ein Kleidernetz, sondern auch über eine Karbidlampe als Lichtquelle. Diese Gaslampe war ab den 1890ern für Gebäude, Fahrräder und andere Fahrzeuge in Gebrauch. Als Brennstoff diente Calciumcarbid, das in Verbindung mit Wasser Ethin-Gas zur Entzündung freisetzte. Karbidlampen waren teils bis in die 1950er-Jahre beliebt, weil sie sehr leicht, hell und relativ günstig waren. Danach wurden sie von elektrischer Beleuchtung verdrängt.

Damenfahrrad Puch, Baujahr 1900

Ein „Windischer“ macht Österreich mobil

Als der Untersteirer Janez Puh als Johannes Puch vom kleinen Handwerker zum Fabrikbesitzer aufstieg, wandelte sich Graz von einem verschlafenen Provinzstädtchen zu einem Industrie- und Handelszentrum. Die Anbindung an die Südachse des Eisenbahnnetzes mit der Trasse Graz-Mürzzuschlag im Jahr 1844 hatte die Stadt ins Industriezeitalter befördert. Neben den Puchwerken lockten weitere Großbetriebe wie die Brauereien Reininghaus und Puntigam, die Andritzer Maschinenfabrik, die Weitzer Waggonfabrik oder die Schuhfabrik D. H. Pollak & Co. (heute: Humanic) zigtausend Arbeitsuchende vom Umland in die Stadt.

Modell VII, Rahmennummer 3197
Leihgeber: Lampls Fahrradmuseum, Werndorf
Lampls Fahrradmuseum / Foto: Edin Prnjavorac

Fahrradfahren in Graz

Auch Graz hielt ab den 1880er-Jahren Schritt mit der Entwicklung hin zum modernen Fahrrad. Insbesondere die Mitglieder des Grazer-Bicycle-Clubs animierten durch ihre importierten Hochräder die lokalen Mechaniker. Ab 1890 nahm mit dem Niederrad die Verbreitung des Radfahrens stark zu. 1888 gründete der erste Fahrradfabrikant in Graz, Benedict Albl, die Meteor-Werke, die unter anderem ein kettenloses Rad produzierten. Radfahrschulen und der Beruf des Radfahrlehrers entstanden. Die Grazer Textilfirma Vinzenz Oblack spezialisierte sich auf Radfahrmode und fand internationale Beachtung für ihre wasserabweisenden Anzugsstoffe. Schließlich wurden die Puchwerke, die größte Fahrrad- und Automobilfabrik, gegründet.

Die Grazer Puchwerke

Fabriksgründer der Puchwerke war der aus der Untersteiermark stammende Janez Puh. Johann Puch, wie er sich bald nannte, begann seine Karriere in der Graziosa-Fahrradfabrik in der Annenstraße. 1889 eröffnete er seinen eigenen Betrieb. 1900, als der Radrennfahrer Josef Fischer auf der Strecke Bordeaux–Paris mit einem Puch-Fahrrad den ersten Platz errang, wurden seine Erzeugnisse auf einen Schlag berühmt.

1908 lief das 100.000. Puch-Fahrrad vom Band und die Puchwerke produzierten bereits Motorräder und Automobile. Von Anfang an führte Johann Puch neben Rennrädern auch günstige Modelle und bot Ratenzahlung an, um die Verbreitung des Fahrrades, das immer noch ein teures Produkt war, anzukurbeln. Die Puchwerke entwickelten sich zu einem der größten Arbeitgeber in Graz.

Luxusgut Fahrrad

Das Radfahren wurde Ende des 19. Jahrhunderts noch mit großer Skepsis betrachtet. Anfangs diente es rein als Sportgerät für junge Herren höherer Schichten. Seine Standesmäßigkeit wurde ambivalent bewertet, nicht zuletzt aufgrund der sportlichen Kleidung. Auch im Straßenverkehr wurde es als gefährlich wahrgenommen.

Einen großen Schritt in Richtung Massentauglichkeit stellte die Verbreitung des weniger sturzanfälligen Niederrades dar. Zur Popularität und gesellschaftlichen Anerkennung des Radfahrens trugen Vereine bei, die ab den 1880er-Jahren zahlreich gegründet wurden und sich nach soziostrukturellen Merkmalen der Mitglieder unterschieden.

Das Misstrauen gegenüber fahrradfahrenden Männern war aber noch weitaus geringer als die breite Skepsis gegenüber fahrradfahrenden Frauen.

Karbidlampe

Das Damenfahrrad aus dem Jahr 1900 verfügt typischerweise nicht nur über ein Kleidernetz, sondern auch über eine Karbidlampe als Lichtquelle. Diese Gaslampe war ab den 1890er-Jahren für Gebäude, Fahrräder und andere Fahrzeuge in Gebrauch. Als Brennstoff diente Calciumcarbid, das in Verbindung mit Wasser Ethin-Gas zur Entzündung freisetzt. Karbidlampen waren teils bis in die 1950er-Jahre beliebt, weil sie sehr leicht, hell und relativ günstig waren. Danach wurden sie von elektrischer Beleuchtung verdrängt.

Erster Grazer-Damen-Bicycle-Club, in: Wiener Mode, 1901, GrazMuseum © GrazMuseum

Sportliche Emanzipation

Radfahren war für Frauen zunächst äußerst umstritten, galt es doch für bürgerliche Frauen – und nur für diese kam das teure Sportgerät in Frage – als unschicklich, öffentlich Anstrengung, ein verschwitztes Gesicht, Knöchel oder gar Waden zu zeigen. Auch die Mode der bodenlangen Kleider mit Korsett war für das Radfahren eher hinderlich. 1893 wurde von Elise Steiniger, Vicenza Wenderich und anderen der Damen-Bicycle-Club gegründet, in dem sich die Frauen und Töchter der Herren des Grazer-Bicycle-Clubs trafen.